0.2 Zukunft und Technologie
Superhirn in der Hosentasche
Natürlich ist auch die Hardware von Watson höchst beeindruckend. Das Kernsystem ist ein Ethernet aus einem geclusterten Rechenverbund bestehend aus 90 IBM-Power-750-Servern. Dieser Verbund bietet 16 Terabyte RAM und ermöglicht eine Rechengeschwindigkeit von rund 80 Teraflops. Damit können 500 Gigabyte, was etwa einer Million Bücher entspricht, pro Sekunde verarbeitet werden. Das ist natürlich weit entfernt von den derzeitigen Supercomputern wie etwa der Tianhe-2 mit 33,86 Petaflops pro Sekunde. Aber: Watson kann die Daten nicht nur verarbeiten, sondern gleichzeitig aus ihnen lernen. In 15 Sekunden kann er die Symptome von rund einer Million Krebspatienten vergleichen, zehn Millionen Finanzberichte und 100 Millionen Produkthandbücher lesen. Seine Fähigkeit, extrem große Datenmengen zu erfassen und auszuwerten, macht ihn damit auch zu einem extrem leistungsfähigen Big-Data-System. Und noch etwas macht Watson besonders: Er ist kein abgeschlossenes System, sondern cloudbasiert. Dadurch können externe Anwender selbst Watson-basierte Anwendungen entwickeln, die auf autonomen Geräten laufen. 2011 hatten die dafür erforderlichen Geräte noch die Größe eines Wohnzimmers. Heute sind sie so groß wie ein Schuhkarton – und bald werden sie wohl in die Hosentasche passen.
Der bessere Arzt
Das Forschungslabor hat Watson längst hinter sich gelassen. Er glänzt in vielen unterschiedlichen Arbeitswelten mit praktischen Anwendungen. Vor allem in der Medizin ermöglicht er derzeit bahnbrechende Entwicklungen. Im onkologischen Bereich gilt „Dr. Watson“ weltweit als der beste diagnostische Arzt. Verschiedene Krebskliniken in den USA und in Kanada setzen auf seine Expertise. Innerhalb von Minuten kann er Diagnosen und Behandlungsempfehlungen erstellen, für die selbst erfahrene Ärzte bisher Wochen brauchen. In 14 renommierten Krebskliniken „leitet“ der Computer die individuelle – auf die jeweilige DNA – abgestimmte Therapie. Dieses Verfahren ist bei verschiedenen Krebsarten sehr erfolgreich und gilt auch bei anderen Erkrankungen als Medizin der Zukunft. Allerdings ist sie auch extrem aufwendig, da allein ein menschliches Gen mehr als 100 Gigabyte Daten liefert. Für die individuelle Therapie greift Watson auf aktuelle Befunde, Krankenakten, Tumorregister mit biologischen Daten, alle vorhandenen Studien, Artikel und Fachaufsätze sowie die Daten von Millionen anderer Krebspatienten zu. Eine Informationsflut, die ein menschlicher Arzt nie überblicken, geschweige denn sich aneignen könnte. Aber ohne „Studium“ kann auch Watson nicht loslegen. So wurde er etwa im Memorial Sloan Kettering Cancer Center monatelang von Chef- und Oberärzten trainiert, bevor er erfolgreich Diagnosen stellte. Die Klinik in New York gilt als eine der weltweit besten Krebskliniken.
Nicht das Ende der Welt
Auch in anderen Bereichen und Branchen spielt Watson bereits seine Stärken aus. Zum Beispiel als Bankberater: So kann Watson basierend auf einer umfassenden Marktanalyse sowie den Bedürfnissen und Erfahrungen der Kunden passgenaue Produkte anbieten – das könnte aber genauso gut ein Krankenkassenwahltarif sein. Die neuen Möglichkeiten und Fähigkeiten von Watson sorgen aber nicht nur für Euphorie, sondern wecken auch moderne Ängste. Die Gefahr, dass Watson zu Skynet mutiert und der Menschheit wie in „Terminator“ den Krieg erklärt, ist gering – auch wenn bekannte Leute wie etwa der Physiker Stephen Hawking oder der Internet- und Elektroautopionier Elon Musk davor warnen. Es stimmt: Maschinen sind längst schneller und intelligenter, als es ein Mensch je sein könnte. Im Schach können wir sie nicht mehr schlagen, aber wir können mit ihrer Hilfe deutlich besser Schach spielen. Wie etwa der amtierende Weltmeister Magnus Carlsen. Seit seinem elften Lebensjahr spielt und trainiert er fast ausschließlich mit einem intelligenten Schachcomputer.