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0.1 Gesundheit und Politik

Frauen an die Computer

In der IT-Branche sind Frauen immer noch Mangelware. Laut der aktuellen Studie „trendence Graduate Barometer 2013 – IT Edition“ wird sich das auch nicht so schnell ändern, da 2013 nur knapp 20 Prozent der Beschäftigten weiblich waren. Es muss aber was geschehen, da auch in dieser Branche ein Fachkräftemangel droht. Catharina van Delden, Geschäftsführerin und Gründerin von innosabi sowie Mitglied im Präsidium des Hightech-Verband BITKOM, erklärt, warum und wie die IT weiblicher wird.

Frau van Delden, hatten Sie in Ihrem Kinderzimmer einen Computer stehen?

Nein, aber ich durfte auf dem Rechner meiner Eltern spielen. Meinen ersten Rechner bekam ich, als ich in der 11. Klasse ein Jahr in den USA war. Das war 2001. Danach galt ich in meinem Freundeskreis als Nerd, weil ich die Erste und Einzige mit einem eigenen Computer war.

Haben Sie hauptsächlich gespielt oder auch programmiert?

Das darf ich gar nicht laut sagen: programmiert. In der Schule habe ich in den Ferien immer Mathekurse besucht. Das waren Spaßkurse an der Uni. Und da haben wir auch etwas über Programmiersprachen gelernt. Also schon ein bisschen Nerd.

Wie kam es, dass Sie eine IT-Firma gegründet haben?

Ich habe ein Semester Finanz- und Wirtschaftsmathematik studiert. Da war ich schon gar nicht so weit weg von der IT. Aber das war mir zu theoretisch. Ich hab dann BWL studiert und mit Freunden während des Studiums die Firma gegründet. Wobei zwei der vier Gründer Entwickler und hauptsächlich für die IT-Kompetenz verantwortlich sind.

Die meisten sind froh, wenn der Computer läuft, finden das Thema Software eher langweilig. Sie sehen das anders, oder?

Software bietet einen unglaublichen Spielraum und viele Möglichkeiten. Programmiersprachen sind ein Werkzeug, mit dem man etwas erschaffen kann. Sie sind Mittel für einen kreativen Prozess. Außerdem ist Software das ultimative unternehmerische Tool. Damit kann ich eine Firma gründen und aufbauen – auch in meinem Wohnzimmer. Ich muss mir nicht erst einen Maschinenpark hinstellen. Software bietet Möglichkeiten, wie wir sie noch nie hatten.

Diese Entwicklung verändert seit etwa zehn Jahren rasant schnell unsere Welt. Alles wird digital, alles ist programmiert – aber meistens von Männern. Woran liegt das?

Das ist schwer zu sagen. Aber um ein IT-Unternehmen erfolgreich zu machen, braucht es mehr als nur Programmierer. Dazu gehören auch Design, Marketing, Vertrieb und Kommunikation. Ein IT-Beruf ist also nicht nur Hardcore-Entwicklung – wobei ein technisches Grundverständnis nötig ist. So ein Job kann eine Einstiegsdroge sein – auch für Frauen. 

Aktuelle Studien zeigen leider, dass Frauen sowohl im Job als auch im Studium in technischen Bereichen unterrepräsentiert sind. Platt gefragt: Liegt das an den Genen oder an der Sozialisierung?

Die Gene würde ich ziemlich sicher ausschließen. Was wir sehen, ist, dass die MINT-Fächer attraktiver für Mädchen und Frauen werden müssen. Das ist natürlich nichts, was jetzt über Nacht passiert. Bitkom beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema. 2007 gab es 3 500 Erstsemesterinnen in Informatik. 2013 waren es immerhin schon 7 400. Das ist ein Fortschritt, aber mit einem Gesamtanteil von 22 Prozent noch zu wenig. Und wir brauchen schon heute Lösungen für die vielen unbesetzten Stellen. Das sehen wir auch in unserer Firma. Die Stellen, die am schwierigsten zu besetzen sind, sind in der Entwicklung. Und diesem Fachkräftemangel kann man sicher dadurch entgegenwirken, dass die Stellen attraktiver für Frauen werden.

Und wie werden die attraktiver?

Die Unternehmen tun bereits eine Menge. Eine Bitkom-Studie hat ergeben, dass praktisch alle ITK-Unternehmen auf Instrumente zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzen. Etwas, wovon übrigens auch Männer profitieren. Am häufigsten gibt es familienfreundliche Arbeitszeiten, die Beschäftigte in drei Viertel der Unternehmen nutzen können. In zwei Drittel der Unternehmen wird auf den Wiedereinstieg nach der Elternzeit besonderer Wert gelegt. Zudem müssen Unternehmen zeigen, dass der Job in der Entwicklung eben auch ein sehr kreativer ist.

In den USA ist der Frauenanteil auch kaum höher als hierzulande. Google hat daher die Kampagne „Made with Code“ gestartet, um Frauen in die IT zu locken. Kann so eine Kampagne etwas verändern?

Ich befürworte das sehr. Viele IT-Unternehmen schauen auf Google. Wenn die sagen, wir haben hier ein Problem, erkennen vielleicht auch die anderen Unternehmen, dass etwas passieren muss. Dazu gehört auch die Ban-Bossy-Geschichte von Sheryl Sandberg, der Geschäftsführerin von Facebook. Wenn man ein Mädchen „bossy“ nennt, ist es ein Schimpfwort, und wenn ein Junge sich dominant aufspielt, dann ist das super, weil das Leadership-Qualitäten zeigt. Individuelle Kampagnen, gerade wenn sie von Google, Facebook und Co. kommen, erregen viel Aufmerksamkeit. Bitkom ist mit „erlebe IT“ unterwegs. Da gehen Leute in die Schulen und informieren über die Berufe, bieten Unterrichtsmaterialien für Lehrer oder Schnupperkurse im Programmieren für Schüler an. Das ist wichtig.

Sind hier auch der Staat, Schulen und Universitäten gefordert?

Unbedingt. Wir brauchen ein Pflichtfach Informatik. Die jungen Leute sollten genauso lernen zu programmieren wie Mathe oder Sprachen. Und nicht nur das, sondern auch den grundsätzlichen Umgang mit digitalen Medien.

Wenn Sie als Unternehmerin einen Blick in die Zukunft werfen. Warum ist es wichtig, dass mehr Frauen programmieren?

Das größte Problem sehe ich täglich in unserer Firma: den Fachkräftemangel. Wir haben derzeit in Deutschland rund 40 000 offene Stellen in der IT. Da verschenken wir ein wahnsinniges Potenzial, wenn wir diese nicht besetzt bekommen. Dafür brauchen wir mehr Frauen.

Heutzutage erwarten Frauen und Männer mehr vom Arbeitgeber – gerade in Hinsicht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Als junges Unternehmen sind wir flexibler und nehmen viel Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten. Konkretes Beispiel: Ein Kollege ist gerade Vater geworden. Natürlich gibt es da Lösungen mit Homeoffice und anderem. Das muss in allen Unternehmen möglich sein. Dazu gehören unter anderem familienfreundliche Arbeitszeiten, unkomplizierter Wiedereinstieg nach der Elternzeit und anderes. Damit wird man als Arbeitgeber attraktiv für Frauen. Es gibt inzwischen so viele technische Möglichkeiten. Und wenn man diese nicht in der IT-Branche nutzt, wo dann?

Zur Person:

Catharina van Delden ist CEO der innosabi GmbH, einer Crowdsourcing-Softwarefirma. Die 29-Jährige ist MBA-Absolventin der TU München und UC Berkeley und hat davor Betriebswirtschaft und Lebensmittelproduktion studiert. Vor Gründung der innosabi GmbH war sie in der Marketingabteilung von Osram tätig, unter anderem in Delhi. Sie ist mehrfache Preisträgerin des „Infocom Future Leadership Awards“ zu den Themen „Innovation in a downturn” und „Innovation driving service excellence” und hat als Autorin mehrere Publikationen zu den Themen Open Innovation und Social Media Marketing veröffentlicht. Seit 2013 sitzt sie im Präsidium des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien e. V. (Bitkom). 2014 erhält sie für ihre Arbeit als Vordenkerin in der digitalen Entwicklung Deutschlands die Auszeichnung „Deutschlands Digitale Köpfe“ der Gesellschaft für Informatik und des Bundesministeriums für Forschung und Bildung.

Zum Unternehmen:

Die innosabi GmbH ist ein Anbieter von Crowdsourcing- und Open-Innovation-Software und begleitenden Dienstleistungen. Das Unternehmen hilft seinen Kunden, Innovationsprozesse für externes Wissen zu öffnen und so das Risiko eines Flops neuer Produkte zu senken. Die Kunden kommen aus den verschiedensten Branchen und sind unter anderem Haribo, Kärcher, Continental, Ford, Danone oder Lidl. Außerdem betreibt die innosabi GmbH Deutschlands größte Produktentwicklungs-Community für die Konsumgüterindustrie. Die innosabi GmbH hat ihren Sitz in München und wurde 2010 unter anderem von Catharina van Delden gegründet.